Zu Besuch im Schlumpfdorf
Einmal aus dem Gargano raus, machten wir uns erstmal auf die Dosenbahn, denn die Industriegebiete südlich des Gargano machen keinen Spaß. Die Straßen sind die reinsten Trial-Sonderprüfungen und sind alles andere als kurvig. Dafür stinken die vielen Fabriken - Gott weiß was die da alles herstellen - zum Himmel.
Nach einigen Stunden Autobahn und Schnellstraße wechselten wir wieder auf die kleineren Nebensträßchen und waren prompt überrascht, denn bei dem zuvor gefahrenen hohen Reisetempo war uns der Wechsel der Landschaft nicht so sehr aufgefallen.
Dominiert im Gargano noch üppiger Urwald, so fühlt man sich in der Gegend um Alberobello und Castellana in die Spaghettiwestern über die mexikanische Revolution versetzt. Auf unseren »Gäulen« ritten wir durch die steinige Prärie, staubig und sandig. Hier und da mal ein halbvertrockneter Olivenbaum zwischen Kakteen und dörren buschigen Gräsern
Und plötzlich sieht man sie zum ersten Mal: Trulli, kleine weiße Häuschen mit Zipfelmützendächern. Zunächst vereinzelt und etwas abseits der Straßen, dann mehr und mehr auch direkt an die Straße gebaut, je näher man nach Alberobello kommt.
Obwohl der Stadtkern von Alberobello historisch ist und als Weltkulturerbe unter besonderem Schutz steht, gibt es wahrscheinlich inzwischen mehr neue als alte Trulli. Offensichtlich zeigen die hier tatsächlich (wenn auch selten) vorkommenden reicheren Einwohner ihre Reichtum durch den Bau moderner Häuser im Trullo-Design.
Als Heidelberger sind wir in puncto Tourismus ja einiges gewöhnt, aber die Anzahl der Reisebusse auf dem Parkplatz gegenüber der Altstadt war schon beeindruckend. Allerdings waren es fast ausschließlich Italiener, die aus diesen ausstiegen. Hier und da vielleicht auch ein paar obligatorische Japaner, selbstverständlich mit Kameras bewaffnet. Sporadisch ein paar schirmbemützte US-Amerikaner und zwischendrin drei deutsche Touristen. Mit unseren Kombis fielen wir auf wie bunte Hunde. Anscheinend ist man so weit im Süden Italiens keine Motorradreisenden gewöhnt.
Wahrscheinlich war es aber nur die Schutzkleidung, die unter den Einheimischen für Irritationen sorgte. Wir haben zugegeben keinen italienischen Motorradfahrer gesehen, der in diesem Klima eine Kombi trug. T-Shirt und Sandalen müssen es hier auch tun. Vom Helm, der seit diesem Jahr auch in Italien Pflicht ist, ganz zu schweigen.
Wir machten also einen kleinen Bummel durch die romantisch schönen Gässchen der Altstadt. An jeder Haustür warten die Einheimischen darauf, den zahlreichen Touristen allerlei Souveniers anzudrehen. Das Meiste ist Ramsch und Nippes, den die Japaner und Amerikaner begeistert in ihre großen Einkaufstaschen stopfen. Aber abgesehen von Plastikfigürchen italienischer Folkloretänzer und schlecht gegossenen Steinguttrulli gibt es hier schon fast eine kleine Industrie von Miniaturenbauern, die kleine Trulli aus den originalen Materialien bauen. Kleine Steinchen werden zu Häuschen zusammen geklebt und mit winzigen Dachsteinchen gedeckt. Mit etwas Mühe findet man die wenigen wirklichen Künstler unter den Ramschhändlern heraus, die wirklich zauberhafte Andenken an diese beeindruckende Altstadt anfertigen.
Einer davon hat sogar mit ein paar anderen zusammen den gesamten historischen Stadtkern samt der Trullokirche nachgebaut und in seinem kleinen Trulliladen ausgestellt:
Orazio Annese
Via Monte S. Michele n. 34
70011 Alberobello (BA)
Italia
Tel. 0039 080/4325979 - 4323258
Man mag es kaum glauben, aber es gibt nicht nur Souvenirlädchen in Alberobello. Viele der kleinen Schlumpfhäuschen werden immernoch als normale Wohnung genutzt. Ein paar mal wurden wir von den Bewohnern stolz eingeladen, ihr Domizil zu begutachten. Da kann man schon ins Schwärmen geraten, wenn man durch die rustikalen und spärlich eingerichteten runden Räumchen geht und plötzlich auf einem mit Weinreben überdachten Innenhof steht, der von der Straße aus gar nicht zu sehen ist. Hier und da sieht man Orangenbäume zwischen den dicht stehenden Mauern.
Auf vielen Dächern sieht man verschiedene aufgemalte weiße Symbole und Zeichen. Diese sind zum Teil christlich begründet, in den allermeisten Fällen jedoch okkulten Ursprungs. Zum Teil sollten sie wahrscheinlich vor Unglück und bösem Schicksal schützen. Andere wiederum wurden im Lauf der Zeit zum Erkennungszeichen der Clans. Inzwischen sieht man auch Fantasiezeichen auf die Dächer gepinselt, damit es für die Touristen interessanter aussieht. Man bekommt jedoch in fast jedem Souveniergeschäft auch kleine Zettelchen (oft gratis), auf denen die Bedeutung der echten Symbole erklärt wird - sofern man sie kennt.
Oder besser noch, man geht in eines der empfehlenswerten Trulli-Lokale und läßt sich von den immer freundlichen Obern, die oft auch Koch und Besitzer des Restaurants sind, in die Geheimnisse der Vergangenheit dieser faszinierenden Stadt einweihen.
Zum Beispiel wieso die Häuser keine richtigen Dächer haben, sondern nur lose aufgeschichtete flache Steine: Früher wurden die Ortschaften von der jeweiligen Obrigkeit oder deren Statthalter nach der Zahl der Häuser besteuert. Als Haus galt hier jedes Bauwerk mit einem Dach. Wenn also der Steuereintreiber mal wieder im Anmarsch war hat man einfach flugs die Dächer abgedeckt. Kein Dach - kein Haus - keine Steuern. Und anschließend war das Dach auch schnell wieder aufgesetzt.
Während unseres Abendessens im Garten eines solchen Trullolokals setzte die Dämmerung ein und auf dem Rückweg zum Motorrad boten uns die Krähen ein groteskes Schauspiel, als sie mit den Fledermäusen um die Wette flogen und so den Himmel über den Zipfelmützendächern mit allerlei hektischem Leben erfüllten.
Auf dem Marktplatz ist von dieser Hektik um diese Zeit nichts mehr zu spüren. Die Alten, die nachmittags noch im Schatten der Bäume ihr Schwätzchen halten sind nach Hause gegangen und haben den Halbstarken samt ihren Motorrollern platzgemacht. Am Amphorenbrunnen, in unmittelbarer Nachbarschaft des Marktplatzes gelegen, finden wir eine kleine Eisdiele, wo wir uns das beste Eis kaufen, das wir jemals gegessen haben. Während wir unser Blutorangen- und Honigmeloneneis schlecken, plätschert der Brunnen beruhigend vor sich hin und man hat fast den Eindruck, daß sogar die jugendlichen Italiener bei ihren Bemühungen, junge Italienerinnen zu beeindrucken, etwas gelassener zur Sache gehen, als im Rest Italiens.