Das Surfer- Motorrad-Paradies
Ob atemberaubende Küstensträßchen an schroffen Felswänden oder wildromantische, teils dicht bewaldete Hügel im Landesinneren - das Gargano, ein Vorgebirge des Appenin, ist das Paradies auf Erden für Motorradfahrer. Als ob ein kollektiver Wunschtraum aller Biker Realität geworden wäre, fährt man im gesamten Gargano stundenlang in Kurven durch die Landschaft. Außer in den Städten findet man kaum eine gerade Strecke, die länger als 100 Meter ist. Fährt man durch den Urwald Foresta Umbra von Vieste nach Monte SanAngelo, so kann man sich an einer etwa zweistündigen ununterbrochenen Kurvenfahrt ergötzen. Wer das nicht erlebt hat, kann es niemals nachvollziehen. Man hat wirklich stundenlang nichts anderes zu tun, als das Motorrad von einer Schräglage in die nächste zu bringen. Als wäre man auf einem Rundkurs, nur daß man nicht im Kreis herum fährt. Wer es schafft, einigermaßen gleichmäßig durch die Kurven zu schwingen, erlebt, je nach körperlicher Verfassung, früher oder später ein unglaubliches und phänomenales Gefühl der Schwerelosigkeit. Das Gleichgewichtsorgan läßt sich tatsächlich von den ständigen Wechseln der G-Kräfte in die Irre führen. Dieser Effekt wirkt sich leider auch auf den Magen aus. Zweimal waren wir mit Kindern im Auto auf diesen Strecken unterwegs. Zweimal mußten wir die Rücksitze von mehr oder minder verdauten Frühstücken säubern.
Aber Traumstraßen sind nicht das Einzige, was Italiens Stiefelsporn zu bieten hat. Das Meer ist, selbst für Schwimmmuffel wie mich, schlichtweg eine Sensation. Klares türkisblaues Wasser, das aufgrund der fast überall sehr flachen Strände lauwarm zum Baden einlädt, erinnert beinahe an Werbung für karibische Pauschalreisen. Und in der Tat wurden hier bereits Werbespots für entsprechende hochprozentige Getränke gedreht. Vielerorts kann man in den felsigen Küstenstreifen Höhlen ausmachen. Von Vieste aus kann man Bootstouren zu eben diesen Grotten unternehmen. Die Kapitäne der kleinen Barchettas vollbringen dabei geradezu artistische Kunststückchen, wenn es darum geht, das Boot genau im Wellental in eine Höhlenöffnung zu navigieren, die für die Einfahrt auf einem Wellenberg eigentlich zu klein wäre.
Zu mancher Jahreszeit könnte man meinen, die Garganesen hätten außer Festen nichts im Sinn, den bald jede Woche im Frühjahr wird irgendetwas gefeiert. Meist ist dabei irgend ein Heiliger oder sonstiger Schutzpatron im Spiel. Wer auf einem der zahlreichen Campingplätze entlang der Küste zwischen Pèschici (gesprochen pes-ki-tschi) und Vieste sein Lager aufgeschlagen hat, kann unversehens von einer Prozession überrannt werden. Diese ziehen von Vieste kommend den Fußweg am Strand entlang bis zu einer kleinen Wallfahrtskapelle etwa auf halber Strecke zwischen Pèschici und Vieste. In den Städtchen sieht man dann nicht selten von bunten Bögen aus Hunderten von Glühbirnen hell erleuchtete Straßenfeste mit Promenadenkonzerten der örtlichen Feuerwehr, Polizeikapelle oder ähnlichem. Die beiden Städtchen Pèschici und Vieste übrigens sind außerordentlich sehenswert. Die gepflasterten Gäßchen sind verwinkelt und teilweise so eng, daß man den Einwohnern wünscht, sie mögen niemals einen Krankenwagen benötigen. Die kleinen Ape-Dreirädchen von Piaggio sieht man allerdings selbst in der engsten Gasse noch. In den historischen Zentren der beiden Städte läßt sich, in Italien fast eine Selbstverständlichkeit, vortrefflich speisen. Unbedingt probieren sollte man das Leibgericht der meisten Bewohner Apuliens: Orechiette - Öhrchennudeln. Frisch zubereitet mit Tomatenstückchen, Basilikum, Ricottakäse und Olivenöl eine wahre Gaumenfreude. Und wer sich nicht vor Meeresfrüchten ekelt, kommt an ricci (gesprochen ri-tschi) nicht vorbei. Das sind Seeigel, die mit Weißbrot aus ihrer Schale getunkt werden. Ein ebenso salziges wie inspirierendes kulinarisches Vergnügen.
Entlang der Küste sieht man zwei Bauwerke immer wieder: Kleine eckige Türmchen und merkwürdige, fast insektenhafte Gerüste aus Holzstangen. Letztere werden, wenn auch selten, heute noch zum Fischfang benutzt. Von den langen fühlerartigen Stangen werden Netze in das Wasser herabgelassen. Die Türme, die heute nicht selten bewohnt werden, waren früher Aussichtspunkte, von denen aus Piratenschiffe und sonstige Feinde frühzeitig erblickt werden sollten, um die Bevölkerung warnen zu können. Oft genug mußten die Bewohner des Gargano feststellen, daß das rechtzeitige Entdecken möglicher Feinde nicht vor Raub, Plünderung und Brandschatzung schützt.
Die geographische Lage des Gargano, in die Adria hinausragend, hat einen enormen Vorteil - zumindest aus touristischer Sicht: Da hier ständig der Wind weht, kommt einem die sommerliche Hitze niemals unangenehm vor. Und auch der Regen, wenn wirklich mal einer fällt, bleibt nicht lange. Der Wind bläst auch dicke, dunkle Wolken schnell wieder weg, und so scheint die meiste Zeit über die Sonne. Tagsüber zumindest. Wer sich die Mühe macht, Nachts ein paar Schritte in die allgegenwärtigen Olivenhaine zu gehen, wird Dank nicht vorhandener Straßenlaternen und anderen Leuchtquellen mit einer mehr als zahlreichen Sternenpracht ohnegleichen belohnt.
Und so schön das Gargano auch ist, man freut sich dennoch auf die Heim- oder Weiterreise. Denn dann fährt man wieder diese unglaublichen und unbeschreiblichen kurvigen Küstensträßchen...